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- Veröffentlicht: 29. April 2024
- Erstellt: 29. April 2024
Ärztliche Tätigkeit ohne Medizinstudium - Das Berufsbild der Physician Assistants
Ärztliche Tätigkeiten übernehmen, ohne Medizin studiert zu haben? Was in Deutschland noch recht unbekannt ist, ist in anderen Ländern schon längst Normalität – mit dem Berufsbild Physician Assistant.
Doch wie wird man das eigentlich? Und wie sieht der Arbeitsalltag aus? Das Medizin(er)-Netzwerk hat sich für euch umgehört und zwei Physician Assistants, die an den Neckar-Odenwald-Kliniken tätig sind, zum Interview eingeladen.
Liebe Sophie, liebe Celine,
ihr beide seid bei den Neckar-Odenwald-Kliniken in Mosbach und Buchen als Physician Assistants (PA), also sogenannte Arztassistentinnen, tätig bzw. seid aktuell noch im Studium.
Seit wann seid ihr hier tätig und was genau ist eure Aufgabe?
Sophie: Ich bin schon seit 2012 bei den Neckar-Odenwald-Kliniken tätig, da ich da meine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin begonnen habe. Seit Oktober 2021 habe ich das Studium begonnen. Im Moment ist meine Aufgabe, die verschiedensten medizinischen Abteilungen der Neckar-Odenwald-Kliniken kennenzulernen und Wissen und Fertigkeiten für die spätere Arbeit als PA mitzunehmen. Im Prinzip lerne ich so wie das ganze Krankenhaus funktioniert.
Celine: Ich bin seit dem 01.03.2023 in Neckar-Odenwald-Kliniken, Standort Buchen, tätig. Ich bin dauerhaft in der Notaufnahme eingesetzt und nehme Patienten stationär auf, führe entsprechende Diagnostik (Ultraschall, radiologische Untersuchungen, EKG-Bewertung) durch, befasse mich mit deren persönlichen Anliegen und manchmal organisiere ich Verlegungen oder anderweitige Transporte. Des Weiteren bereite ich Patienten für anstehende stationäre Aufenthalte vor und beantworte, sofern möglich, alle Fragen und Anliegen der Patienten.
Wie wird man ein/e Physician Assistant und wie läuft das Studium ab?
Sophie: Es gibt 2 Möglichkeiten: 1. Grundständiges Studium; 2. Auf einer medizinischen Ausbildung aufbauendes Studium. Beide haben natürlich Vor- und Nachteile. Ich befinde mich gerade in der 2. Variante. Dafür musste man eine abgeschlossene 3-jährige medizinische Ausbildung mitbringen. Das Studium ist dual aufgebaut, d.h. immer im ungefähr 3-Monats-Wechsel Theorie- und Praxiseinsätze für insgesamt 3 Jahre. Ich studiere an der DHBW in Karlsruhe, die mit den Neckar-Odenwald-Kliniken kooperiert. Es gibt mittlerweile aber auch viele Privat-Unis, die den Studiengang anbieten.
Celine: Es gibt unterschiedliche Formen der angebotenen Studiengänge. In meinem Fall bin ich direkt nach Abschluss des Abiturs zur Hochschule Fresenius gegangen und habe dort in Vollzeit für 4 Jahre den Bachelorstudiengang belegt. Nachdem dieser abgeschlossen war, gab es verschiedene Möglichkeiten das Studium weiterzuführen, jedoch wollte ich mit der Arbeit beginnen. Das Studium umfasst 4 Jahre mit regelmäßigen Praktika ab dem 3. Semester. Man kann sich verschiedene Fachbereiche anschauen und überlegen, wo man irgendwann arbeiten möchte. Zu jedem Praktikum und zu jedem Semester werden entsprechende Prüfungen abgelegt und der Kenntnisstand des Erlernten wird geprüft. Wir werden in Anatomie, Physio-/Pathophysiologie geschult, sowie in Toxikologie und vielen weiteren Fächern. Die Zugangsvoraussetzungen für die Studiengänge können unterschiedlich aussehen. Entweder man hat ein abgeschlossenes Abitur, oder man hat beispielsweise einen Realschulabschluss und anschließend eine Ausbildung abgeschlossen.
Wie sieht euer Arbeitsalltag aus?
Sophie: Das kommt ganz darauf an, in welcher Abteilung man arbeitet. Allgemein beginnt morgens alles erst mal mit der Frühbesprechung, in der die neu aufgenommenen Patienten vorgestellt werden. Dann wird bei den Chirurgen der OP-Plan besprochen und wer wann wo eingeteilt ist. Auf Station wird dann Blut abgenommen und nötige Venenzugänge gelegt. Patienten werden für die OP vorbereitet. Als nächstes folgt die Visite: Neue Untersuchungen werden angesetzt sowie Medikamente o.Ä. Natürlich wird alles in der Krankenakte dokumentiert. Danach geht es meist ans Briefe schreiben, damit die Patienten nach Hause können und am besten bereitet man Briefe auch schon für den nächsten Tag vor. Zwischendurch in den OP zum Assistieren. Zum Abschluss die Mittagsbesprechung mit dem Plan für den nächsten Tag.
Celine: Mein Alltag beginnt, indem ich mich um kurz vor 8 Uhr umziehe und in der Notaufnahme vorbeischaue, ob es Patienten gibt, die einer schnellen Behandlung bedürfen. Bestenfalls führen wir morgens in der Notaufnahme eine kleine Besprechung durch und besprechen Anliegen der Mitarbeiter oder ob bereits Patienten angekündigt sind oder wie der Sachstand bei den anwesenden Patienten ist. Danach beginnt um 08:05 Uhr die große Frühbesprechung der Inneren Abteilung, wo gemeinsam mit dem Nachtdienst, den Oberärzten und dem Chefarzt die Patienten der Nacht und des Vortages besprochen werden. Zudem können dort medizinische Fragen geklärt und weitere diagnostische Maßnahmen besprochen werden. Dann beginnt der normale Arbeitsverlauf mit der Aufnahme von Patienten, Notfallbehandlungen und weiteren organisatorischen Maßnahmen. Um 13 Uhr findet die Mittagsbesprechung der Inneren Abteilung statt, wo alle aufgenommenen Patienten besprochen werden, die im Verlauf durch den Stationsarzt weiterbehandelt werden. Danach werden weiterhin Patienten aufgenommen und untersucht, bis um 14:30 Uhr der Spätdienst als Unterstützung hinzukommt und zu einem späteren Zeitpunkt um 16:30 Uhr das Diensttelefon übernimmt.
Was ist das Besondere an dem Berufsbild und gibt es vielleicht auch Herausforderungen, mit denen ihr im Berufsalltag konfrontiert seid?
Sophie: Das Besondere ist, ärztliche Tätigkeiten übernehmen zu dürfen, ohne Arzt zu sein. Die Herausforderung besteht dann darin, den ärztlichen Kollegen seine Kompetenz unter Beweis zu stellen. Es wird aber meist sehr schnell bemerkt, was wir können und dann ist die Akzeptanz gar kein Problem und die Nachfrage groß! Von Patienten wird man als Frau immer zuerst als Schwester angesehen, da muss man sich schon deutlich als PA vorstellen, aber dann ist auch das Interesse immer groß und man bekommt eigentlich immer Zustimmung.
Celine: Das Besondere an diesem Berufsbild ist, dass wir frühzeitig praktische Erfahrung sammeln können. Im Vergleich zum klassischen Medizinstudium werden wir bereits ab dem 3. Semester praktisch eingesetzt und lernen mit dem Alltagsstress umzugehen. Zudem müssen wir uns nicht auf eine Fachrichtung spezialisieren. Sollte der PA im Verlauf kein Interesse mehr an der derzeitigen Fachabteilung haben, kann er sich durch die große Bandbreite an Praktika alle Fachbereiche anschauen und wechseln, da wir vielseitig einsetzbar sind. Eine Herausforderung in unserem Beruf sind die gesetzlichen Unsicherheiten, da es bisher keine Regelung für die Tätigkeiten des PA gibt. Dementsprechend obliegt die Aufgabenspannweite dem Vorgesetzten und den vorhandenen groben Richtlinien. Manchmal wird das Berufsbild von Ärzten, Rettungsdienstpersonal oder Pflegekräften wenig akzeptiert, da viele dieses Berufsbild nicht kennen und Angst um ihre Stelle haben.
Wo sind die Schnittstellen zum ärztlichen Personal?
Sophie: Da gibt es viele. Prinzipiell dürfen wir ja z.B. keine Diagnosen stellen, das darf nur ein Arzt. Wenn ich also einen Patienten in der Notaufnahme untersucht habe, stelle ich meine Ergebnisse und meinen Verdacht vor und der Arzt stellt dann die Diagnose. Auch die Behandlungspläne bei Visite auf Station laufen in Absprache ab. Im OP kann man ärztliche Vorbereitungen und Nachbereitungen (z.B. Hautnaht) übernehmen – operieren tut aber immer noch der Arzt. Auch bei Untersuchungen können wir mitwirken oder diese übernehmen wie z.B. Ultraschall. Es gibt sogar PA´s, die selbstständig Herz-Ultraschalluntersuchungen machen oder eine Magen-/ Darmspiegelung. Ansonsten übernehmen wir auch viel Dokumentationsarbeit.
Celine: Die Schnittstelle zum ärztlichen Personal liegt in der abschließenden Verantwortung. Der PA ist verpflichtet, dem Supervisor Bericht zu erstatten und sich die Erlaubnis für die Vorgehensweise einzuholen. Dementsprechend sind die Tätigkeiten wie Bluttransfusion, Leichenschau mit Ausfüllung des Scheines, große Operationen und alle nicht delegierbaren Aufgaben nicht durchführbar.
Könntet ihr auch in der ambulanten Versorgung arbeiten?
Sophie: Das ist natürlich auch möglich und auch ein sehr spannendes Einsatzgebiet. Bei der derzeitigen Hausarztüberlastung vor allem auf dem Land wäre ein/e PA ein/e wertvolle/r Mitarbeiter/in. Ob in der Praxis oder beispielsweise auch bei Hausbesuchen wäre ein/e PA ein wirkungsvolles Bindeglied zwischen Patient und Arzt. Viele Routinetätigkeiten können ebenfalls von PA´s durchgeführt werden.
Celine: Es gibt in Deutschland PA´s, die in Arztpraxen und anderen ambulanten Bereichen tätig sind, jedoch wägen viele Arztpraxen von dem Nutzen eines „nicht vollständigen Arztes“ und dessen Kosten ab. Jedoch sollten PA´s in der ambulanten Versorgung eingesetzt werden, um das stationäre System und die Notaufnahmen zu entlasten und möglicherweise eine bessere Versorgung auf dem Land zu ermöglichen.
Was würdet ihr einer Person sagen, die sich noch unschlüssig ist, ob sie ein/e PA werden möchte?
Sophie: Wer sich für Medizin interessiert, sich aber vielleicht nicht unbedingt an das lange Medizinstudium rantraut oder es aus verschiedenen Gründen nicht möglich ist, für den ist die PA die perfekte goldene Mitte.
Celine: Grundsätzlich gilt für jede Art von Beruf im Gesundheitswesen: Will ich das langfristig machen? Der Beruf kann sehr kräftezehrend und emotional belastbar sein. Dementsprechend sollte man ein Praktikum durchführen, um sich mit dem Gesundheitswesen vertraut zu machen. Aber wenn man für das Gesundheitswesen brennt und das machen möchte, ist das eine gute Alternative zum Medizinstudium mit Wartezeit. Speziell für den PA finde ich, ist es ein schöner vielseitiger Beruf mit einer Spur an Verantwortung. Mit unserem Beruf können wir vieles verändern und womöglich unser derzeit eingeschränktes Gesundheitssystem zur Veränderung animieren und verbessern.
Auch der Ärztliche Direktor der Kliniken, Herr Chefarzt Dr. med. Rüdiger Mahler, freut sich über die Unterstützung in den Neckar-Odenwald-Kliniken:
Dr. med. Rüdiger Mahler: Ich bin davon überzeugt, dass die Tätigkeit des PA als innovatives Berufsfeld eine ausgezeichnete Zukunft haben wird. Aus diesem Grunde bieten wir nicht nur das Studium des PA in Zusammenarbeit mit der DHBW Karlsruhe an, sondern sind auch bestrebt, bereits ausgebildete PA in unseren Kliniken in verschiedenen Bereichen einzusetzen.